Games-Festivals sind sehr inspirierend, erhellend, dabei allerdings überwältigend. Auf der A MAZE. 2019 traf das insbesondere zu. Es fiel mir insgesamt schwer, mich auf Spiele einzulassen – gerade solche, die es erfordern, sich ganz eintauchen zu lassen oder eine längere Zeit zu investieren. (ich habe kein einziges VR-Spiel ausprobiert.) Das Gute daran ist, dass ich mich besonders mit Spielen beschäftigt habe, die ich auch im Alltag spielen würde: kleine, experimentelle, seltsame Spiele. Spiele, die auf den ersten Blick zeigen, dass sie anders sind als andere, die zeigen, dass „Witz“ am Werk ist. Ebenso Spiele, die von der ersten Sekunde an Spaß machen. Solche Spiele bieten eine bereichernde Erfahrung, auch wenn ich nur, sagen wir, 20 Sekunden lang ins Spiel springe, ein paar Dinge ausprobiere.
Besondere
Highlights sind für mich dabei persönliche Spiele wie Fantastic
Fetus und Consume
Me, die lokale-Multiplayer-Katzen-Party Sticky
Cats, die Game-Gedichte von Project.99,
darüber aber noch der Kölner GameJam-feel-good-Plattformer Derpy
Conga. Vielleicht plauderte ich noch kurz mit den Entwicklern
bevor ich weiter ging.
Das
Plaudern war für mich das zweite Stichwort der Amaze: Vielleicht ist
das immer so in Berlin, aber ich bin noch nie auf einer Veranstaltung
so oft und so leicht mit Leuten ins Gespräch gekommen. Leute neben
mir drehten sich einfach zu mir um und fragten mich, wo ich her komme
und was ich von der Veranstaltung hielte – oder sie erklärten mir
ihr Game. Diese Leute habe ich über den Tag immer wieder getroffen,
sie haben sich immer wieder auf ein Gespräch eingelassen. Ein völlig
Fremder erklärte mir bereitwillig die hübschen Game-Werbesticker
auf seinem Laptop, nachdem ich ihn fragte. Zwei Freund:innen habe ich
dort wieder getroffen, eine zufällig, einen unzufällig. (Also
verabredet – Danke für den Hinweis auf das Festival!) Einer der
neuen Freunde ließ mich und den Freund, mit dem ich dort
verabredet war, seinen Prototypen spielen. Die schönste
Überraschung erwartete mich am Stand für afrikanische Spiele, als
mir einer der Präsentierenden dort die Spiele erklärte, bis ein
anderer mich ansprach und mich nach meinem Namen fragte – weil er
mich spontan mit wenigen Strichen skizziert hatte! Das alles machte
den Aufenthalt sehr angenehm wie auch emotional nährend, dabei
anstrengend. Gerade, weil die meisten Gespräche auf englisch waren –
nicht so sehr anstrengend, weil ich kein Englisch könnte, vielmehr
wegen des Findungsmoments zu Beginn vieler Situationen, ob jetzt
Deutsch oder Englisch zu sprechen sei.
Was
das „Networking“ angeht, war der Workshop zu Gewerkschaften ihn
der Spieleindustrie am ergiebigsten, Vernetzung, die sich mal für
alle lohnt. Ich bin gespannt, was sich auf diesem Gebiet noch ergibt.
Als nächstes werde ich herausfinden, ob darüber schon jemand in den
Game Studies geschrieben hat.
Insgesamt
war ich in einem Zustand der unaufhörlichen, wenn auch unaufgeregten
ästhetischen Begeisterung. Ein starker Ausschlag der
Begeisterungs-Nadel war, als ich darauf hingewiesen wurde, dass Anita
Sarkeesian ein Stück weiter IN meinem
SICHTFELD stand. Mein emotionaler Zustand sprudelte über, indem ich
die verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen, die ich für potenziell
interessiert hielt, von Anfang an mit Fotos und einzeiligen
Erlebnisberichten versorgte. In der Messenger-Gruppe der
studentischen Spieleinitiative USK57 war zumindest die
Reaktion auf Anita Sarkeesian und Derpy
Conga in meinen Augen angemessen.
Die
Athmosphäre war auch deswegen willkommen heißend, weil es sichtbare
Vielfalt unter Besucher:innen, Moderator:innen und Team gab. Von
sprachlichen Findungsmomenten habe ich bereits berichtet; ich habe
Polen kennen gelernt und einen Briten, der in Deutschland lebt, der
Gastgeber der Award Show war aus Südafrika, Project.99
aus Südkorea und so fort. Ohne gezählt zu haben, würde ich zwar
einen leichten Männerüberhang schätzen, das Geschlechterverhältnis
schien aber annähernd ausgeglichen, besonders unter den
Moderator:innen. Das einzige, was mir negativ auffiel, war ein etwas
niedriger Reflexionsgrad der Milieueinbettung der Veranstaltung: Als
Thorsten S. Wiedemann, der Organisator des Festivals, auf der Bühne
das Publikum mit „…all you beautiful people“ ansprach, dachte
ich: „Stimmt, er hat recht, mir sind heute hier drin nur
gutaussehende Menschen aufgefallen.“ Das mag daran liegen, dass es
sich um den Kulturbereich in der Hauptstadt handelt oder daran, dass
die Karten einen gewissen Preis hatten, der zwar für Studierende
günstiger war, aber immer noch nicht günstig – Wo der soziale oder
monetäre Eintrittspreis hoch ist, dort finden sich im Schnitt besser
aussehende Menschen, denn diese werden im Leben belohnt. In diesem
Moment habe ich auf jeden Fall sehr präsent gespürt, dass das hier
eben die „schicke“ Games-Veranstaltung in Berlin ist und nicht
die „kleine“ in der Provinz. Games-Kunst mit ganz großem K – das
Wort „Art-House-Games“ fiel mehr als einmal. Das Elitäre,
exklusive Kunstsystem war hier nicht etwas, dass es zu überwinden
gilt, sondern etwas, in das Games noch stärker integriert werden
wollen. Anders gesagt ließe sich provozieren: Diversity und
ökonomische Kritik (Gewerkschaften in der Games-Branche) kommen zwar
beide vor, werden aber separat voneinander gedacht. Und teilweise
bleiben sie auch separat von ästhetischer Praxis.
Nichtsdestotrotz,
ich habe mich selten auf einer kulturellen Veranstaltung so wohl
gefühlt. Zum Vibe habe ich schon etwas gesagt, auch der Zeitplan ist
zu loben: die verschiedenen Programmpunkte starteten zu
unregelmäßigen Zeiten, was aber nicht zu Chaos oder schmerzhaften
Entscheidungen führte, sondern eher dazu, dass ich viel mitnehmen
konnte und in den Zwischenzeiten viel Zeit hatte, mir die
ausgestellten Spiele anzusehen oder mich mit alten und neuen
Bekanntschaften zu unterhalten. Die Erfahrung war angenehm, gastlich
und intensiv, ich fühlte mich erfüllt mit Inspiration. So erfüllt,
dass ich mir die Party ersparte – Ich spazierte lieber in mein
Hotelzimmer zurück, um die Erfahrungen zu verarbeiten und mich zu
erholen, bevor ich diesen Text auf der Zugfahrt zurück schrieb.