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Artikel: Free to Play mit Lies van Roessel

In der aktuellen Ausgabe der PAIDIA “Marx und das Computerspiel” ist auch ein Artikel von Lies van Roessel und mir erschienen. Er trägt den Titel “Praktiken des Free-to-play-Spielens – Wie sich Spieler:innen kostenlose Spiele und Ingame-Käufe aneignen“.

Lies und ich haben uns mit verschiedenen Methoden den Praktiken genähert, mit denen sich Spieler:innen Free-to-Play-Spiele aneignen. Dabei sind wir auf vielfältige ökonomische, machtbezogene, aber auch ästhetische Dynamiken gestoßen.

Die ganze Ausgabe ist sehr schön geworden, mit einem breiten Themenspektrum von philosophisch informierter Theorie über Mods für Age of Empires 2 bis hin zu Games-Musik.

Link zum Artikel: Praktiken des Free-to-play-Spielens – Wie sich Spieler:innen kostenlose Spiele und Ingame-Käufe aneignen

Link zur Ausgabe: https://www.paidia.de/sonderausgaben/sonderausgabe-marx-und-das-computerspiel/

Experimentalraum Ludomaterialität – Diskussionsrunde zum Verhältnis von Spiel und Material (Diskussionspanel)

Die GamesCoop hatte auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2020 ein Diskussionspanel mit dem Titel: Experimentalraum Ludomaterialität – Diskussionsrunde zum Verhältnis von Spiel und Material – Passend zum Titel der Tagung: Experimentieren. Mit dabei waren Timo Schemer-Reinhard (Uni Siegen), Max Kanderske (Uni Siegen), Tim Glaser (Hochschule für Bildende Künste Braunschweig), Max Kanderske (Uni Siegen), Andreas Rauscher (Uni Siegen), Timo Schemer-Reinhard (Uni Siegen), Finja Walsdorff (Uni Siegen) – und ich. Im Folgenden ist der Text unseres Abstracts zu lesen.

Spielräume sind immer auch Experimentalräume. Sie können im freien Spielen durch Körperpraktiken und in Interaktion mit allerlei Spielgerät erkundet werden, oder im regelgeleiteten Spiel, das sich durch die Festlegung eigener Zielsetzungen und Regelvariationen seitens der Spieler_innen modifizieren lässt. Diese Praktiken transgressiven Spiels gehen dabei i.d.R. mit einer Veränderung des Spielmaterials einher, etwa bei der Manipulation von Spielbrettern und figuren, von Programmcode, 3D-Modellen oder Ähnlichem.

Dem Material kommt also eine zentrale Rolle zu: Indem es zunächst den Gegenstand des Experimentierens darstellt, anschließend aber zur Grundlage bzw. zum Werkzeug weiterer spielerischer Versuche wird, muss es als ‚epistemisches Ding‘ (Hans-Jörg Rheinberger) verstanden werden. So forderte bereits die Reformpädagogik die schrittweise Heranführung der Spielenden an verschiedene Materialien und Formen. Dabei sollte im Zuge des kindlichen Forscherdrangs jedes hinzukommende Objekt zunächst auf sein Zusammenwirken mit den bereits vorhandenen Spielmaterialien überprüft wurde, bevor es im nächsten Schritt selbst als Werkzeug zur Überprüfung weiterer solcher Neuankömmlinge dienen konnte. Auch der Prozess des Spieldesigns ist ohne Experimentieren mit materiellen Repräsentationen aus Papier, Plastik und Holz schlicht undenkbar, können die zu erprobenden abstrakten Regeln doch nur durch das ‚Ausspielen‘ mit Spielgerät auf ihr Funktionieren im Sinne eines unterhaltsamen Spielerlebnisses überprüft werden – auch und gerade in der Entwicklung digitaler Spiele, denen häufig die materielle Bodenhaftung abgesprochen wird, kommen Materialien, beispielsweise im Paper Prototyping, vor.

Gleichzeitig ist Spielmaterial als Ware in ökonomisch motivierte Testabläufe eingebunden. Die Industrie erprobt laufend Spielformate sowie Finanzierungs- und Monetarisierungsmodelle. Besonders digitale Spiele und die Vertriebsplattformen, in die sie eingebettet sind, befinden sich daher zunehmend im Modus einer ‚Perpetual Beta‘, d.h. sie fungieren als dauerhafte experimentelle Versuchsanstalten. Diese Tatsache stellt die Spielforschung vor eine doppelte Herausforderung: Einerseits gewinnt das Spiel, das sich als unabgeschlossenes, performatives Medium ohnehin der Untersuchung im Sinne einer Werksanalyse entzieht, so eine weitere Ebene von Flüchtigkeit, die es zu berücksichtigen gilt. Andererseits rücken die materiell-ökonomischen Zusammenhänge, also die Produktions- und Verwertungsbedingungen der Spiele in den Vordergrund. Untersuchungen von Modding- und Fanarbeit werden ebenso nötig wie die Auseinandersetzung mit digitalen Gütern und den ihnen anhängenden Praktiken von Handel und Glücksspiel.

Im Anschluss an den Navigationen-Band Spiel|Material lädt die Siegener GamesCoop zu einer Diskussion spielerischer Materialitäten ein, in deren Rahmen Spiele, Spieldesign und -produktion als Orte des experimentellen Umgangs mit Regeln, Formen und Spielmaterial in den Blick genommen werden.

Game Design Workshop in der Stadtbibliothek Kreuztal

Timo Schemer-Reinhard und ich haben einen Game Design Workshop für Jugendliche im Alter von 12-15 Jahren in der Bibliothek Kreuztal gegeben. In der Woche vom 3.-7. August 2020 fand der Workshop mit 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt.

Am ersten Tag habe ich anhand analoger Spiele die Grundlagen des Game Design, insbesondere iterative Designtechniken, vermittelt. Am Dienstag folgten Einheiten zu den Game-Entwicklungstools Twine und Kodi von Timo. Am Mittwoch und Donnerstag haben wir einen Game Jam durchgeführt: Die Jugendlichen arbeiteten in Teams an ihren selbstgewählten Projekten, die sie am Freitag vorführten. Am Sonntag waren die Spiele für das Bibliothekspublikum zu sehen und anzuspielen.

Entstanden sind vier Textadventure, ein Arcade-Spiel, ein Rennspiel und ein Shooter mit Schildkröten. Außerdem haben die Teilnehmer schon am Montag spielbare Kartenspiele erfunden und ausprobiert.

Hier ist ein Artikel über den Workshop: Jugendliche entwickeln eigene Computerspiele

Ausgabe: Spiel|Material (Navigationen)

Spiel|Material ist das Thema der neuesten Ausgabe der Navigationen, der siegener Zeitschrift für Medienwissenschaft. Herausgegeberin der Ausgabe ist die GamesCoop, die siegener Gruppe medienwissenschaftlicher Spieleforscher:innen.

Link: Spiel|Material

Teaser Spiel|Material

Deutsch:

Spiele finden weder im luftleeren Raum einer als immateriell angenommenen Virtualität statt, noch innerhalb von Zauberkreisen, die klar von den sie umgebenden Produktions- und Lebensverhältnissen zu trennen sind. Wie aber sehen die materiellen Bedingungen aus, unter denen sie hergestellt, genutzt und in weitere Professionalisierungs- und Verwertungskontexte integriert werden?

Um diese Frage zu beantworten, bündelt die von der Siegener GamesCoop konzipierte Ausgabe Spiel|Material aktuelle Arbeiten aus der deutschsprachigen Spielforschung, die das komplexe Verhältnis von Spiel und Material aus verschiedensten Perspektiven beleuchten. Sie schafft so Anschluss an den im angloamerikanischen Raum ausgerufenen ‚Material Turn‘ der Game Studies, berücksichtigt dabei aber explizit auch analoges Spielgerät.

Mit den versammelten Beiträgen setzt der Band Schwerpunkte in den Bereichen Design und Fanproduktion, Interfaceforschung, Verwertung von Spiel- und Datenmaterial, Medienpädagogik und Kunstgeschichte. Dabei werden die Verhältnisse von Material, Form und Regelwerk sowie von Arbeit und Spiel diskutiert.

Englisch:

Games take place neither within the space of a supposedly immaterial virtuality, nor within magic circles that can be clearly separated from the modes of production and consumption surrounding them. But what are the material conditions under which they are produced, used and embedded into further contexts of professionalization and exploitation?

To answer this question, the issue Spiel|Material conceived by the Siegen-based research group GamesCoop brings together current works by German-speaking games scholars that illuminate the complex relationship between game and material from a wide variety of perspectives. In this way, it links up with game studies‘ ‚material turn‘ as proclaimed in the Anglo-American world, while explicitly addressing analogue game equipment at the same time.

With the collected contributions, the volume focuses on the areas of design and fan production, interface research, exploitation of devices and data, media education and art history. The tensions between material, form and rules as well as between work and play are central themes that permeate the issue.

Erfahrungen im Dialog: A MAZE. 2019

Das Games-Festival A MAZE. 2019 war eine intensive Erfahrungen – auch für Tim Glaser und mich. Wir haben unsere Gedanken hier fest gehalten in zwei Beiträgen:

A MAZE. 2019: Games-Festival in Berlin (Claudius Clüver)

A MAZE. 2019 die Zweite (Tim Glaser)

Vom 10. bis 13. April 2019 fand das A MAZE Festival zum achten Mal in Berlin statt und hat sich mittlerweile zu einem wichtigen Festivals im Bereich Indie, Art Games, Playful Media, Art House Games, etc. entwickelt. Seit 2012 stellt das A MAZE unabhängige, alternative, experimentelle, kritische und künstlerische Auseinandersetzungen mit Spielen in den Fokus. Präsentiert werden dabei unterschiedliche Themen, Formen und Technologien – von Prototypen aus Game Jams, Sound Collagen und interaktiven Kunstwerken hin zu spielerischen sozialen Gruppen-Experimenten, Virtual- und Augmented-Reality-Erfahrungen oder politischen Interventionen. Zusätzlich zur Ausstellung lädt das A MAZE zu Vorträgen, Workshops und Diskussionen ein und bietet die Möglichkeit Interessierte, Akteure, Künstler_innen, Designer_innen und Wissenschaftler_innen aus der ganzen Welt zu treffen.

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A Maze. 2019: Games-Festival in Berlin (Claudius Clüver)

Games-Festivals sind sehr inspirierend, erhellend, dabei allerdings überwältigend. Auf der A MAZE. 2019 traf das insbesondere zu. Es fiel mir insgesamt schwer, mich auf Spiele einzulassen – gerade solche, die es erfordern, sich ganz eintauchen zu lassen oder eine längere Zeit zu investieren. (ich habe kein einziges VR-Spiel ausprobiert.) Das Gute daran ist, dass ich mich besonders mit Spielen beschäftigt habe, die ich auch im Alltag spielen würde: kleine, experimentelle, seltsame Spiele. Spiele, die auf den ersten Blick zeigen, dass sie anders sind als andere, die zeigen, dass „Witz“ am Werk ist. Ebenso Spiele, die von der ersten Sekunde an Spaß machen. Solche Spiele bieten eine bereichernde Erfahrung, auch wenn ich nur, sagen wir, 20 Sekunden lang ins Spiel springe, ein paar Dinge ausprobiere.

Besondere Highlights sind für mich dabei persönliche Spiele wie Fantastic Fetus und Consume Me, die lokale-Multiplayer-Katzen-Party Sticky Cats, die Game-Gedichte von Project.99, darüber aber noch der Kölner GameJam-feel-good-Plattformer Derpy Conga. Vielleicht plauderte ich noch kurz mit den Entwicklern bevor ich weiter ging.

Das Plaudern war für mich das zweite Stichwort der Amaze: Vielleicht ist das immer so in Berlin, aber ich bin noch nie auf einer Veranstaltung so oft und so leicht mit Leuten ins Gespräch gekommen. Leute neben mir drehten sich einfach zu mir um und fragten mich, wo ich her komme und was ich von der Veranstaltung hielte – oder sie erklärten mir ihr Game. Diese Leute habe ich über den Tag immer wieder getroffen, sie haben sich immer wieder auf ein Gespräch eingelassen. Ein völlig Fremder erklärte mir bereitwillig die hübschen Game-Werbesticker auf seinem Laptop, nachdem ich ihn fragte. Zwei Freund:innen habe ich dort wieder getroffen, eine zufällig, einen unzufällig. (Also verabredet – Danke für den Hinweis auf das Festival!) Einer der neuen Freunde ließ mich und den Freund, mit dem ich dort verabredet war, seinen Prototypen spielen. Die schönste Überraschung erwartete mich am Stand für afrikanische Spiele, als mir einer der Präsentierenden dort die Spiele erklärte, bis ein anderer mich ansprach und mich nach meinem Namen fragte – weil er mich spontan mit wenigen Strichen skizziert hatte! Das alles machte den Aufenthalt sehr angenehm wie auch emotional nährend, dabei anstrengend. Gerade, weil die meisten Gespräche auf englisch waren – nicht so sehr anstrengend, weil ich kein Englisch könnte, vielmehr wegen des Findungsmoments zu Beginn vieler Situationen, ob jetzt Deutsch oder Englisch zu sprechen sei.

Was das „Networking“ angeht, war der Workshop zu Gewerkschaften ihn der Spieleindustrie am ergiebigsten, Vernetzung, die sich mal für alle lohnt. Ich bin gespannt, was sich auf diesem Gebiet noch ergibt. Als nächstes werde ich herausfinden, ob darüber schon jemand in den Game Studies geschrieben hat.

Insgesamt war ich in einem Zustand der unaufhörlichen, wenn auch unaufgeregten ästhetischen Begeisterung. Ein starker Ausschlag der Begeisterungs-Nadel war, als ich darauf hingewiesen wurde, dass Anita Sarkeesian ein Stück weiter IN meinem SICHTFELD stand. Mein emotionaler Zustand sprudelte über, indem ich die verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen, die ich für potenziell interessiert hielt, von Anfang an mit Fotos und einzeiligen Erlebnisberichten versorgte. In der Messenger-Gruppe der studentischen Spieleinitiative USK57 war zumindest die Reaktion auf Anita Sarkeesian und Derpy Conga in meinen Augen angemessen.

Die Athmosphäre war auch deswegen willkommen heißend, weil es sichtbare Vielfalt unter Besucher:innen, Moderator:innen und Team gab. Von sprachlichen Findungsmomenten habe ich bereits berichtet; ich habe Polen kennen gelernt und einen Briten, der in Deutschland lebt, der Gastgeber der Award Show war aus Südafrika, Project.99 aus Südkorea und so fort. Ohne gezählt zu haben, würde ich zwar einen leichten Männerüberhang schätzen, das Geschlechterverhältnis schien aber annähernd ausgeglichen, besonders unter den Moderator:innen. Das einzige, was mir negativ auffiel, war ein etwas niedriger Reflexionsgrad der Milieueinbettung der Veranstaltung: Als Thorsten S. Wiedemann, der Organisator des Festivals, auf der Bühne das Publikum mit „…all you beautiful people“ ansprach, dachte ich: „Stimmt, er hat recht, mir sind heute hier drin nur gutaussehende Menschen aufgefallen.“ Das mag daran liegen, dass es sich um den Kulturbereich in der Hauptstadt handelt oder daran, dass die Karten einen gewissen Preis hatten, der zwar für Studierende günstiger war, aber immer noch nicht günstig – Wo der soziale oder monetäre Eintrittspreis hoch ist, dort finden sich im Schnitt besser aussehende Menschen, denn diese werden im Leben belohnt. In diesem Moment habe ich auf jeden Fall sehr präsent gespürt, dass das hier eben die „schicke“ Games-Veranstaltung in Berlin ist und nicht die „kleine“ in der Provinz. Games-Kunst mit ganz großem K – das Wort „Art-House-Games“ fiel mehr als einmal. Das Elitäre, exklusive Kunstsystem war hier nicht etwas, dass es zu überwinden gilt, sondern etwas, in das Games noch stärker integriert werden wollen. Anders gesagt ließe sich provozieren: Diversity und ökonomische Kritik (Gewerkschaften in der Games-Branche) kommen zwar beide vor, werden aber separat voneinander gedacht. Und teilweise bleiben sie auch separat von ästhetischer Praxis.

Nichtsdestotrotz, ich habe mich selten auf einer kulturellen Veranstaltung so wohl gefühlt. Zum Vibe habe ich schon etwas gesagt, auch der Zeitplan ist zu loben: die verschiedenen Programmpunkte starteten zu unregelmäßigen Zeiten, was aber nicht zu Chaos oder schmerzhaften Entscheidungen führte, sondern eher dazu, dass ich viel mitnehmen konnte und in den Zwischenzeiten viel Zeit hatte, mir die ausgestellten Spiele anzusehen oder mich mit alten und neuen Bekanntschaften zu unterhalten. Die Erfahrung war angenehm, gastlich und intensiv, ich fühlte mich erfüllt mit Inspiration. So erfüllt, dass ich mir die Party ersparte – Ich spazierte lieber in mein Hotelzimmer zurück, um die Erfahrungen zu verarbeiten und mich zu erholen, bevor ich diesen Text auf der Zugfahrt zurück schrieb.

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