Barrierefreiheit auf der Mensch und Computer 2024 in Karlsruhe 1.-4. September 2024

Die Mensch und Computer ist eine Konferenz zum Thema Mensch-Computer-Interaktion (MCI oder englisch HCI), als Berufsfeld heißt das User Experience (UX). Auf der Konferenz treffen sich Wissenschaftlerïnnen und Praktikerïnnen aus diesem Bereich oder mit Interesse an diesem Bereich. Ich war dieses Jahr als neuer Forscher in der HCI und Sozioinformatik das erste Mal dabei.

Es gab sehr viele Slots, in denen es um Barrierefreiheit ging, das Thema, mit dem ich auch dort war. Bis auf wenige Stunden war ich die ganze Zeit beschäftigt mit dem Thema Barrierefreiheit, Inklusion vom Menschen mit Behinderung, Accessibility und so weiter.

Vieles von dem, was mein Kollege Sven Bittenbinder und ich dort gelernt haben, müssen wir erst einmal aufarbeiten. Diese Dinge werden dann in Veröffentlichungen einfließen, die von uns in der Zukunft kommen. Für uns war online-Kollaboration zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen das zentrale Thema. Auf dem Workshop zum Thema am Sonntag, den Sven leitete und in einem Impulsvortrag während des “Austauschforum Barrierefreiheit” am Montag sprachen wir vor allem darüber, das zu Beginn von Zusammenarbeit ein Aushandlungsprozess nötig ist, um die Prozesse und Vorgehensweisen zu klären – und das gilt für Zusammenarbeit in Teams mit und ohne Menschen mit Behinderungen, wie uns klar wurde. Wichtig ist nur, dass es einen sicheren und reservierten Raum für diese Aushandlung gibt.

Die Diskussion um den Begriff “Barrierefreiheit” kam auf der Tagung immer wieder auf. Er wurde kritisiert, weil es völlige Barrierefreiheit nicht geben kann – auch allein deswegen, weil unterschiedliche Dinge für verschiedene Menschen Barrieren sind, die teilweise entgegengesetzt sind uns sich daher nicht auflösen lassen. In solchen Fällen gibt es nur bessere oder schlechtere Balance. Ein Gegenvorschlag war “Barrierearmut”, was vor dem Hintergrund dieser Kritik ein besserer Begriff ist – aber blöd, weil dann etwas gutes als “Armut” bezeichnet wird.

Besonders schön fand ich einige Dinge, die die Barrierefreiheits- und UX-Expertin Beatriz González Mellídez gesagt hat. Sie fügte an, dass “Barrierearmut” sie immer daran erinnere, dass Menschen mit Behinderungen oft tatsächlich arm seien: “Ich hasse Barrierearmut, weil Armut mich daran erinnert, dass Menschen mit Behinderungen auch oft ökonomisch arm sind, keinen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt haben, und dass es dazu viel zu oft kein Budget für Barrierefreiheit gibt, weder im öffentlichen noch im privaten Bereich.”

“Zugänglichkeit”, angelehnt an Accessibility war ein weiterer Vorschlag. Beatriz’ bevorzugte Variante war “Inclusive Design”. Ich denke, Inklusion oder Zugänglichkeit sind gute Begriffe – allerdings ist nicht nur entscheidend, was treffend ist, sondern vor allem, was sich durchsetzt. Barrierefreiheit ist etabliert, es wird schwer sein, daran etwas zu drehen. Der neue Begriff müsste schon viel besser sein. “Inclusive Design”, “Inklusives Design” ist besonders schön, dabei impliziert er aber auch viel mehr als die Adressierung von Behinderungen – Inklusion hat seinen eigenen Begrifflichen Gehalt, eigene Vorstellungen, die damit verbunden sind und bezeichnet zu Recht alles mögliche: Inklusion von Geflüchteten, Arbeiterkindern, LGBTQ+ und so fort.

Zum Abschluss noch ein Zitat von Beatriz, ihre Antwort auf die Frage, wie sie sich eine ideale Welt im Bereich der Barrierefreiheit vorstellt:

“Ich wünsche mir diese schöne Welt, in der es alle kapiert haben und sich verantwortlich fühlen, in der die Verantwortung für Barrierefreiheit nicht mehr hin und her geschoben wird. Es wird nicht mehr von der Menschenrechten behinderter Menschen als Sonderbedarf gesprochen, sondern von unterschiedlichen Bedürfnissen aller Menschen. Es gibt keine Werkstätte oder Förderschule für Behinderte Menschen, keine Sondertechnologie, keine sonder-Hilfsmitteln, weder Sonderwege noch Sonderpädagogik mehr, nichts mehr besonderes, keine Trennung und Klassifizierung mehr – weil einfach alles von Anfang an inklusiv und individuell anpassbar auf menschliche Bedürfnisse ist.“

– Beatriz González Mellídez


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