Es ist immer schmeichelhaft, wenn Journalistïnnen sich bei mir melden, weil sie etwas über eines meiner Fachgebiete wissen wollen – okay, bisher ging es dabei immer um Spiele.
In der heutigen Ausgabe der ZEIT ist im Wirtschaftsteil ein Artikel über die Landwirtschafts-Simulator-Spiele von Henrik Rampe, in dem zwei kleine Zitate von mir sind. Ich schreibe diesen Post vor allem, weil ich mich über die Anfrage gefreut habe und weil ich finde, der Artikel ist gelungen.
In dem Text geht es primär darum, dem lesenden Publikum das Spiel und seinen Reiz zu erklären. Er ist im Ton der Verwunderung geschrieben: Warum spielen Leute in ihrer Freizeit Bauernhof, obwohl es immer weniger Landwirte gibt?
Der Text stellt meiner Meinung nach die Kuriosität heraus, die das Phänomen für viele Leserïnnen haben wird, bleibt aber auch wertschätzend den Akteurïnnen der Geschichte gegenüber. Er hätte auch voyeuristisch sein können und sich über die Spielenden lustig machen können, als Clowns, die ihre Zeit mit Quatsch verbringen. Viele Texte über digitale Spiele tun das.
Mein Beitrag ist, den Reiz ein wenig als Wissenschaftler einzuordnen. In meinen Zitaten geht es zuerst um Herausforderung, die nicht überfordert – was nach den Worten von Mihály Csíkszentmihályi als Flow bezeichnet wird. Dann hat Rampe noch ein Zitat von mir ausgesucht, in dem ich Eskapismus, also die Flucht vor den Alltagssorgen als Grund anführe.
Wie bei journalistischen interviews üblich, ist das nur ein Bruchteil dessen, was ich zu dem Spiel zu sagen hatte. Der Autor hat mit mir etwa eine halbe Stunde telefoniert, davon hat er sich die zwei Zeilen heraus gesucht, die am besten das zeigten, was er seinen Leserïnnen verständlich machen wollte.
Zum Beispiel habe ich darüber geredet, wie verbreitet die Idee ist, dass Menschen Spiele spielen, die zu ihrem Beruf passen – weil sie dort das tun können, was sie gerne machen, aber im Spiel selbstbestimmter und freier. Schon in “Die Spiele und die Menschen” von Roger Caillois aus den 1950ern spricht er davon, dass Zugführer in der Freizeit selbstbestimmt ihre Modelleisenbahn pflegen. Auch über SimCity gibt es Berichte, dass Stadtplanerïnnen oder Bürgermeisterïnnen das Spiel mögen, weil sie in echt niemals so frei ihre Städte gestalten können und dort ihre Traumstadt bauen können – während ihre Träume in der echten Welt in der Geschwindigkeit und den Grenzen der Bürokratie realisiert werden müssen.
Zu Themen wie Eskapismus und dem Reiz ruhiger Computerspiele gibt es von mir auch deutlich mehr zu lesen. Über den Landwirtschafts-Simulator habe ich zwar noch nichts geschrieben, aber die Kollegïnnen Finja Walsdorff, Max Kanderske und ich haben einen Text über das Nintendo-Spiel Animal Crossing: New Horizons produziert. Das Spiel war ein Riesenphänomen, besonders 2020 während der ersten Covid-Wellen-Zeit. Den Text gibt es inzwischen auf deutsch und auf englisch:
Digital Biedermeier. Praktiken der Fürsorge in Tend-and-befriend-Spielen, mit Max Kanderske und Finja Walsdorff, in: Psychologie & Gesellschaftskritik 2022-04 (184); URL: https://www.psychologie-aktuell.com/journale/gesellschaftskritik/bisher-erschienen/inhalt-lesen/2022-4-184.html
Digital Biedermeier: (Self-)care in Animal Crossing: New Horizons (englisch), mit Max Kanderske und Finja Walsdorff, in: Journal of Games, Self, & Society, Vol. 3., No. 1; Hrsg. von Susan E. Rivers, Claudia-Santi F. Fernandes und Grace Collins, 2022. URL: https://press.etc.cmu.edu/journals/journal-games-self-society-vol-3-no-1
Mein persönliches Lieblingsbeispiel für solche Spiele ist Stardew Valley. In dem Spiel erbt ein unzufriedener Büro-Angestellter den Bauernhof seines Großvaters – was die landwirtschaftlichen Eskapismusphantasien von Großstädtern narrativ in das Spiel einbaut.
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