Dieses Jahr fand das Festival in den Räumlichkeiten des SEZ (Kurzform für Sport- und Erholungszentrum) statt, einem früheren DDR Prestigeobjekt, welches nun für Partys und andere Veranstaltungen genutzt wird. Das Gebäude passte in der Mischung aus früherem Glanz und aktueller Kaputtheit zum Feeling des Festivals, war aber einfach zu kalt für den ausbleibenden Frühling. Die offene Gestaltung führte dazu, dass es teilweise schwer fiel, den Vorträgen zu lauschen, da gleichzeitig die Geräusche von verschiedenen Spielen und Gesprächen mit zu hören waren. Von den architektonischen Tücken abgesehen, gab es viele Möglichkeiten zu spielen, aber auch zu sehen, hören, wundern, fragen, lachen, verwirrt sein oder – was mehr als einmal genannt wurde – being amazed.
Die Atmosphäre des A MAZE lässt sich irgendwie in der Schnittstelle zwischen Indie-Film/Galerie/Kunstfestival, Berlin-Hipster-Party (vor allem zur späteren Stunde), Chaos Communication Congress Hacker-Ethos (es wird gebastelt) und Workshop/Tagung finden. Je nach eigenen Interessen sowie Tageszeit. Teilweise scheint das A MAZE auch die Stärken und Schwächen solcher (sub)kultureller Treffen zu übernehmen, auf der einen Seite die Diversität von Besucher_innen und Spielen – auf der anderen Seite das Gefühl von einem opaken Micro Kosmos, der sich nicht immer gleich offen anfühlt. Dazu später noch einmal mehr, zuvor einen Blick auf Highlights, Lowlights und alles dazwischen.
Gleich im Eingangsbereich, nachdem man die pastellfarbenen Eintrittsbänder erhält, steht The Book Ritual von Alistair Aitcheson – eine fesselnde und fressende Erfahrung. Das Spiel erinnert an einen Dating Simulator, nur spricht man mit einem Buch, welches man aus dem verfügbaren Stapeln auswählen darf und auf der Suche, dem Buch menschliche Emotionen zu vermitteln, wird es langsam an einen Papierwolf verfüttert, beschrieben und durchgestrichen. Eine Mischung aus destruktiver Lust und merkwürdiger emotionaler Verbindung macht das Spiel außergewöhnlich, da es gleichzeitig als experimentelle Installation (für Menschen die Bücher lieben vielleicht sogar Grenzerfahrung) funktioniert, als auch als narrative Erfahrung.
Überhaupt scheinen viele Spiele auf der A MAZE von der Umgebung und der Art und Weise, wie sie präsentiert werden, zu profitieren. Auch wenn es – wie Claudius schon angemerkt hat – schwer ist, sich auf die Spiele einzulassen, wenn man gleichzeitig die Gefühle von sensorischer Überwältigung, sozialen Miteinander und terminlichem Stress in Gleichgewicht bringen möchte, so schaffen es manche Spiele in dieser Atmosphäre zu gelingen. The Game: The Game von Angela Washko kann man dazu zählen. Zugegeben warte ich seit einigen Jahren auf das Spiel und habe ihren Vortrag auf dem letztjährigen CCC (zum Thema Tactical Embodiment) mit Interesse verfolgt, aber zuzusehen, wie – in einem lokalen live let´s play – andere Besucher_innen sich durch die absurde, gruselige, aber auch witzige Welt von seduction coaches/pick-up artists schlängeln ist einfach lustig, und erschreckend, im rapiden Wechsel.
Tactical Embodiment: Angela Washko auf dem 35. Chaos Communication Congress (2018)
Auf der anderen Seite steht The Longing von Studio Seufz aus Stuttgart, einem idle game, dass idle ernst nimmt. 400 Tage in Echtzeit dauert es, bis der König erwacht und so lange hat man als Schatten die Aufgabe den Schlaf zu bewachen und kann dabei – in äußert bedächtiger Langsamkeit – durch die Zimmer, Gänge und Gemächer des Königreichs laufen, Musik spielen, Bilder malen und warten. 400 Tage lang. Immerhin laufen diese auch ab, wenn das Spiel geschlossen wird. Ein schönes Gefühl von Entschleunigen in einem hektischen Festival.
Claudius erwähnte schon das Party-Sofa-local-Multiplayer-Chaos-Game Sticky Cats, welches, nicht überraschend, den Publikumspreis abräumen konnte. Darüber hinaus gab es mit Blabyrinth nicht nur ein weiteres local-Multiplayer Spiel, das einen Preis gewinnen konnte (Human Human Machine Award), sondern auch eine wirklich abwechslungsreiche Runde bot. Das Spiel versteht sich selbst als Escape-Room-Game, erinnert aber in der Graphik eher an Zelda und spielt sich etwas wie ein verrücktes durcheinander-Brettspiel, in dem Figuren Rätsel lösen, Gegenstände tragen und Fallen entschärfen müssen. Unterhaltsames Durcheinander ist schon im Tutorial-Level garantiert.
Allgemein funktionieren bei meinem schon nach einigen Stunden überreizten Kopf vor allem die kleinen Formate, wie die Hypertalks am Freitag. Acht Vorträge, jeweils fünf Minuten, verschiedene Ideen treffen aufeinander – wie Jessica Palmer, die in Observing Humanity thru the Lens of The Sims™ über die Auswegslosigkeit ihrer Figuren spricht. Sie kann Künstler einsperren, damit sie endlos Kunstwerke erzeugen, Vampire und andere Monster spielen, aber nicht aus dem dominanten System des Hyperkapitalismus aussteigen. Klingt etwas zu real.
Leider scheint es, dass alles gleichzeitig und fast zu viel stattfindet – am Abend geht dies weiter. Nach den Vorträgen, Workshops und anderen Angeboten gab es Live Musik, unter anderem von T.Raumschmiere, der aus Samples – unter anderem Schreie aus der Crowd – und verschiedenen Gerätschaften und Instrumenten Musik schaffte, die mit der Grenze von Tanzbarkeit spielte. Ob das der Spiel Bezug war?
Weniger überzeugen konnten mich in den drei Tagen die Virtual-Reality-Installationen und Spiele, vielleicht weil ich das Gefühl habe, dass ich immer wieder mit ähnlichen Prinzipien und Ästhetiken hantiere, vielleicht auch, weil ich nach einem Vortrag von Jennifer deWinter auf der diesjährigen SWPACA–Tagung das Gefühl nicht loswerde, dass ihre Kritik an VR zutrifft. Sie legte nah, dass der Fokus auf Sichtbarkeit als Zugang zu einer anderen Realität in der europäischen Tradition liegt, das Auge als primäres Sinnesorgan zu verstehen und damit eine sehr einschränkte Form von „virtueller“ Realität konstruiert wird. Und obwohl eine VR-Installation den Boden ausgelegt hatte mit angenehmen Matten, bleibt irgendwie ein Gefühl von Reduktion zurück. Vielleicht wäre mir das anders ergangen, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte Kassinn von Huldufugl zu testen, dem Gewinner des Most Amazing Game Awards. In diesem Projekt wird VR und Theater verbunden zu einer Echtzeit-Performance – leider war die Anzahl der Menschen, die das erleben konnten, begrenzt und ich habe es verpasst.
Kommen wir von dieser Begrenzung zurück zur berechtigten Kritik von Claudius, dass das A MAZE zwar vielfältige Spiele, Kunstwerke, Performance, Vorträge und Party anbietet, aber diese Vielfalt wiederum verschlossen wird und als Teil einer im gewissen Sinne elitären (oder hipster?) Subkultur auftritt – eben für die „beautiful people“ oder alternative Crowd. Die „Art-House-Games“, wie der Gründer Thorsten S. Wiedemann auf der Bühne die Szene nannte, als er zur Award Show eine Rede hielt. Und diese Inszenierung könnte eine gewisse kritische und politische Haltung überdecken und ausblenden, Zitat Claudius: „Diversity und ökonomische Kritik (Gewerkschaften in der Games-Branche) kommen zwar beide vor, werden aber separat voneinander gedacht. Und teilweise bleiben sie auch separat von ästhetischer Praxis.“
Ich fühle mich dabei etwas hin und her geworfen, weil ich diese Kritik teile und generell und für das A MAZE unterschreibe – ich aber gleichzeitig nicht genau weiß, wie viel der Inszenierung wiederum wichtig ist, um das eigene Überleben zu sichern (als Teil der Gamesweek, wie auch in deutschen Spielelandschaft). Das A MAZE Festival bewegt sich – so scheint es mir – auf der Linie zwischen Kunstmarkt, Indie-Game-Szene und anderen alternativen Strömungen im Bereich Computerspiel. Die Gründung des Festivals liegt nach dem Boom der Indie Szene nach 2007/2008 und lebt sicherlich auch davon, dass öffentliche und private Sponsoren so ein Festival als relevant betrachten, als spannende Ideenschmiede, in denen Innovationen geboren werden, die dann vielleicht kulturelles Kapital oder monetäres Kapital abwerfen können. Vielleicht liegt hier das Problem von solchen (subkulturellen, alternativen, ?) Veranstaltungen, dass die Art und Weise, wie hier Wertschöpfung betrieben wird, trotz des Anrufs an „Gemeinsamkeit“ („…all you beautiful people“) eher verborgen stattfindet. Dass die Verleihung von Preisen, das Ausstellen von Kunstwerken nicht nur Selbstzweck ist, um die Kreativität der Szene zu feiern, sondern auch, weil Wertung ein wichtiges Element von Märkten ist. Vielleicht ist die Unklarheit, welche Kapitalformen erschaffen werden, einer der Gründe, aus dem die Diversität und medienökonomische Kritik schwer zusammen zu bringen sind – wenn für die Eigenständigkeit von Art Games als Kunstform argumentiert wird, fällt vielleicht unter den Tisch, dass der Kunstmarkt eine der reinsten Formen neoliberaler Logik darstellt. (Leider habe ich den Games-Gewerkschaft-Workshop verpasst – vielleicht nächstes Jahr)
Das A MAZE war amazing – aber auch ein Irrgarten. Ich bin schon gespannt, wie es sich nächstes Jahr wird. Es war schön, bekannte Gesichter zu treffen, teilweise erwartet, teilweise vollkommen unerwartet. Anderen Besucher_innen zuzusehen, Begeisterung und Verwirrung mitzuerleben, mit Designer_innen und Künstler_innen zu sprechen – das A MAZE bietet nicht nur viel an, sondern zeigt auch viele Wege auf, in denen sich Computerspiele noch entwickeln können und das allein war den Besuch wert.
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